Wie Wissensgesellschaft und Individualisierung sie zugrunde richten können
Das Ende der Universität?
(aus: Die humane Revolution, S. 72, S. 218 - 220)

Wenn die New Economy zur Young Economy mutiert, kann sie als allgemein akzeptierte, produktive Variante des Hörner-Abstoßens ein attraktives Angebot für die Persönlichkeitsentwicklung 20- bis 30jähriger Menschen werden: Man lernt viele Menschen gleichen Alters und beiderlei Geschlechts kennen, experimentiert mit den verschiedensten Varianten der Kombination von Berufs- und Privatleben, findet einen intensiven Einstieg ins lebenslange Lernen, hat das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein, erfährt viel über die eigenen Stärken und Schwächen, kann dabei richtig Geld verdienen, und mit ein bisschen Glück sogar richtig viel Geld.
Alles zusammen kann den bisherigen Marktführer in diesem Segment heftig ins Straucheln bringen - die Universität. Wenn es gelingt, die extrem fragile New Economy in eine extrem lebendige Young Economy zu verwandeln, wird diese ein weit attraktiveres Angebot für die Persönlichkeitsentwicklung abgeben, als es die Universität, wie wir sie kennen, jemals können kann. Dann wird die Institution Universität heftig danach suchen müssen, wo, daran gemessen, ihr Wettbewerbsvorteil liegen könnte.
Ich glaube kaum, dass sie einen finden würde.
Die Universität hat ihre Funktion als zentraler Wissenserzeuger und -vermittler der Gesellschaft längst eingebüßt. Sie ist nur noch einer von vielen Anbietern im Content-, Research-, und Edutainment- Business.
Edutainment sagt Ihnen vielleicht noch nichts. Es ist als Wort auch noch nicht so alt: Edutainment ist eine Neuschöpfung aus den englischen Begriffen education (Bildung, Erziehung) und entertainment (Unterhaltung). Gemeint sind damit eigentlich unterhaltende Lernmedien wie »Trivial Pursuit« oder »Der kleine Bär will zählen lernen.«
Aber der größte Edutainment-Anbieter ist die Universität.
Das große Unterhaltungsversprechen der Universität heißt »Genieße deine Individualität!« Zwischen nivellierende Schule und entfremdete Erwerbsarbeit gepflanzt, leuchtet hell das Frühlingsgrün der Selbstentfaltung. Nur selten zwar direkt im Lehrbetrieb, aber um so stärker in den Stunden davor, danach und dazwischen.
Wenn die Schule und das Berufsleben stärker auf die Individualität der Schüler bzw. Humankapital-Investoren eingehen, verblasst die Entertainment-Funktion der Universität. Was macht dann die Education-Funktion?
Einen schlechten Eindruck.
• Einige Fächer, wie Jura, die Fremdsprachen oder die Medizinen, ähneln einer auf fünf Jahre verlängerten Berufsausbildung, nur mit mehr Theorie und weniger Praxis.
• Einige Fächer, wie Physik, Informatik oder Maschinenbau, ähneln fünfjährigen Berufsvorbereitungskursen für den Einstieg im Konzern um die Ecke - natürlich ohne finanzielle Beteiligung des davon profitierenden Konzerns.
• Einige Fächer, wie Soziologie, Politikwissenschaft oder die Ökonomien, zeichnen sich nicht nur durch Realitätsferne, sondern oft sogar durch Realitätsignoranz aus.
• Einige Fächer, wie Geschichte, Archäologie, Musikwissenschaft, ähneln aufgebrezelten Volkshochschulkursen.
Vielleicht würde es ja tatsächlich reichen, wenn die Universität sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren würde. Weg mit den ganzen Fakultäten, Prüfungsordnungen, Fachbereichsselbstverwaltungen. Universität, das hieße dann nur noch: Denken lernen. Universität, das wäre dann: die Eintrittskarte zum Universum des Wissens.
Alle anderen bisherigen Wissenserzeugungs- und -vermittlungsaufgaben der Universität müssten sich dagegen am Markt bzw. an neuen Märkten behaupten. Und der Kunde, früher Student mit Namen, hat mit seinem Arsenal von Bildungsgutscheinen die Möglichkeit, sich auf diesen Märkten berufsgebundenes oder generalisiertes, deutsches oder fremdsprachliches, krauses oder geradliniges Wissen anzueignen.
Dass die Freiheit der Wissenschaft dadurch gefährdet sein könnte, glaube ich nicht. Wer nach Erkenntnis strebt, lässt sich schon heute nicht durch hochdotierte Auftragsforschung locken. Die humane Revolution wird die Bedingungen für zwanglose Forschung eher verbessern als verschlechtern. Was verloren gehen dürfte, ist die Einheit von Forschung und Lehre, wie sie die klassische Universität für sich in Anspruch nimmt - aber eher schlecht als recht in die Praxis umsetzt. Wenn dieser Einheitsanspruch fällt, ist es auch nicht schade drum. Wer forschen will, soll forschen. Wer lehren will, soll lehren. Wer beides will, soll beides machen. Ob er beides am gleichen Arbeitsplatz namens Universität tut oder an zwei verschiedenen Arbeitsplätzen, einem Forschungs- und einem Lehrinstitut, ist dabei nebensächlich.
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